Freizeit und Konsum I – Leisure and Consumption

Buitenplaatsen „by den Boeren“
Die ehrgeizigen Wirtschaftsambitionen der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen führte zu einem neuen Phänomen, das ein definitiv kapitalophiles Weltbild beinhaltete.
Arbeit ist der von Gott vorgeschriebene Selbstzweck des Lebens. Die calvinistische Arbeitsethik bemisst den vorherbestimmten Gnadenstand des Einzelnen durch Arbeit, Tüchtigkeit, unbändigem Fleiß, und als Resultat steht individueller und wirtschaftlicher Erfolg.
„Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuss des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßigkeit und Fleischeslust. […] Und nur weil der Besitz die Gefahr dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. […] Nicht Muße und Genuss, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhmes. Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden.“
Max Weber, S./p. 166f.
Jeder Bereich des alltäglichen Lebens, wie auch Moralvorstellungen (doppelte Prädestination) und Künste (Kunstmarkt), ordnete sich dem Prinzip der Bilanzierung und Kommerzialisierung unter, und näherte sich in Windeseile den „modernen Zeiten“ einer komplexen Konsumentengesellschaft.
Nicht nur die Arbeit an sich galt als wichtige Tugend, sondern auch die Perfektionierung ihrer Struktur und Abläufe. Vielfältiges und scheinbar unversiegbares Warenangebot floss u.a. durch das lückenlose Funktionieren einer innovativen Marktwirtschaft und einem ausgeklügelten Aktiensystem der Handelskompanien ins Land. Das verwobene Angebot-und-Nachfrage-System schraubte die Konsumentenspirale nicht nur bei finanzkräftigen Adel und neureichen Wirtschaftsmagnaten, sondern auch in den unterschiedlich kaufstarken bürgerlichen Gesellschaftsschichten nach oben.
Neu war nun auch, dass durch die Intensität der individuellen Produktionszeit die arbeitsfreie Zeit sich wesentlich veränderte und vor allem bewusster wahrgenommen wurde. Die „Arbeitszeit“ wird dezidiert von der „Freizeit“ unterschieden. Diese nun zeitlich fixierte freie Zeit musste unter diesen neuen modernen Parametern der steten Kapitalsteigerung nun ebenso mit Konsum gefüllt werden, um – nach kapitalistischem Geist – zusätzlichen Bedarf für neue Produktion zu schaffen.
Im den Vereinigten Provinzen existierte somit im 17. Jahrhundert bereits ein ausgeklügelter Freizeitkonsum. Freizeit wurde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor und betraf – ein europäisches Novum – nun auch alle sozialen Schichten. Für jeden Geldbeutel und Geschmack gab es genügend leistbare Angebote. Das System des vorübergehenden Vermietens von Freizeit-Gadgets findet dabei nicht nur bei der finanzschwächeren Schichte großen Anklang. Die Niederländer, die Freizeitluxus, wie Segel- oder Schmuckboote, Kutschen, aber auch Schlittschuhe, ja sogar Musikinstrumente und Tabakpfeifen, nicht selbst besaßen, konnten dies gegen einen erschwinglichen Mietbetrag in Anspruch nehmen.
Der deutsche Theologiestudent Friedrich Lucae (1644-1708) der Universität Leiden, und später Pfarrer und Chronist, schreibt über seine Ausflüge: „Außerhalb Leyden habe ich im Sommer manchmal das benachbarte Leydendorf besucht, wohin die Leydener an schönen Tagen zu Tausenden ziehen. Da hatte ich oft Gelegenheit, das schöne Vieh zu bewundern, das man in diesen Gegenden, wo die Leute keinen Ackerbau haben, durchgängig siehet.“
Friedrich Lucae, S./p. 80f.

Gesellschaft auf dem Lande, Leisure society, Detail, RGS Inv.no. 558; © RGS/Ghezzi
Da viele Niederländer beruflich in das umtriebige Wirtschafts- und Handelssystem eingebunden waren, gehörte es zum Berufsbild, einen umfangreichen Teil ihres Lebens auf Geschäftsreisen zu verbringen. Aber auch in ihrer kostbaren Freizeitverließen sie gerne die engen Städte. Vor allem die gestressten Amsterdamer wollten der überfüllten und hektischen Großstadt entfliehen, und ihre Freizeit auf dem Lande verbringen. Die wohlhabenden Bürger leisteten sich in Anlehnung an die Moden des flämischen Adels, der als Vorbild galt, Sommersitze auf dem Land, die sogenannten Buitenplaatsen, die bevorzugt in den Provinzen Gelderland, Utrecht und Overijssel lagen. Die bürgerliche Mittelschicht mietete vor den Stadtmauern Gartenparzellen und baute sich dort für ihr Freizeitvergnügen Gartenhäuschen. Die somit entstandenen Vorstadtgürtel ließen die Grenzen zwischen Stadt und Land durchlässiger werden.
Abseits der moralischen Obhut der strengen Kirche und dem engen gesellschaftlichen Korsett der Städte wird die dörflich-ländliche Umgebung zu einem wichtigen Naherholungsgebiet, zu einem imaginierten arkadischen Idyll oder auch zu rauschendem (Dorf-)Fest. Diese Aspekte dürften Käufer und Kunstliebhaber in den Landschaftsgemälden, die nun mehr und mehr ihre städtischen Häuser schmückten, gesucht haben.
Literatur / literature:
Christopher Brown: Holländische Genremalerei im 17. Jahrhundert, München 1984
Roland Günter: Die Veränderung der holländischen Landschaft und die Landschaftsmalerei. In: Kritische Berichte, Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft 1/87, Marburg 1987
Friedrich Lucae (Bearb./ed.): Der Chronist Friedrich Lucae. Ein Zeit- und Sittenbild aus der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts. Nach einer von ihm selbst hinterlassenen Handschrift bearbeitet und mit Anmerkungen nebst einem Anhange versehen, Frankfurt a. M. 1854
Karel van Mander: Het schilderboek. Het leven van de doorluchtige Nederlandse en Hoogduitse schilders, Amsterdam 1604
Ulrike Münch / Jürgen Müller (Hgg./eds.): Peiraikos’ Erben. Die Genese der Genremalerei bis 1550, Wiesbaden 2015
Gender Disclaimer: „Nicht aus Ignoranz, sondern zur besseren Lesbarkeit wird in den Texten auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird zumeist das generische Maskulinum oder neutrale Formulierungen verwendet, wobei beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.“
Leisure and Consumption I – Buitenplaatsen „by den Boeren“
The intense economic ambitions of the Republic of the Seven United Provinces gave rise to a new phenomenon that included a definite “capitalophile” worldview.
Work is the directive of life given by God. The Calvinist work ethic measures a person’s predetermined state of grace through work, efficiency, diligence, and the result is individual and economic success. Every area of life, as well as moral concepts (predestination) and the arts (art market), subordinated itself to the principle of accounting and commercialization and quickly approached the “modern times” of a complex consumer society. Not only was the work itself an important virtue, but also perfecting its structure and processes. A diverse and apparently inexhaustible range of goods flowed into the country, among other things through the seamless functioning of an innovative market economy and a sophisticated stock system of the trading companies. The interwoven supply-and-demand system screwed up the consumer spiral. This affected not only the wealthy nobility and nouveau riche business tycoons but also the middle-class social classes with different purchasing power.
What was new was that due to the intensity of the individual production time, the non-working time changed significantly and, above all, was perceived more consciously. “Working hours” are clearly distinguished from “free time”. This free time, now fixed in time, had to be filled with consumption under these new modern parameters of constant capital growth. According to the capitalist spirit, additional demand for new production was created.
In the United Provinces, there was already a sophisticated level of recreational consumption in the 17th century. Leisure time became an important economic factor and – a European novelty – now also affected all social classes. There were enough affordable offers for every budget and taste. The system of temporary rental of leisure gadgets is not only popular with the financially weaker class. The Dutch, who did not own luxury leisure activities such as sailing or jewelry boats, carriages, but also ice skates, even musical instruments, and tobacco pipes, could take advantage of this for an affordable rental fee.
Since many Dutch people were professionally involved in the bustling economic and trading system, it was part of the job description to spend a large part of their lives on business trips. But they also liked to leave the narrow cities in their precious free time. The stressed Amsterdammers in particular wanted to escape the crowded and hectic city and spend their free time in the countryside. The wealthy citizens, following the fashions of the Flemish aristocracy, who served as a model, afforded summer seats in the country, the so-called Buitenplaatsen, which were preferably located in the provinces of Gelderland, Utrecht, and Overijssel. The bourgeois middle class rented garden plots in front of the city walls and built garden houses there for their leisure time. The resulting suburban belts made the boundaries between town and country more permeable. Away from the moral custody of the strict church and the narrow social corset of the cities, the rural surroundings become an important local recreation area, an imagined Arcadian idyll, or a lavish (village) festival. These aspects are likely to have been sought by buyers and art lovers in the landscape paintings that now more and more adorned their urban houses.
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Gabriele Groschner (27. April 2021). Freizeit und Konsum I – Leisure and Consumption. TONALE MALEREI. Abgerufen am 15. November 2025 von https://doi.org/10.58079/urup
